Skyline von Oslo im Werden
04.10.2021

Mehr als Mohammed Karikaturen - zum Tod von Lars Vilks

Provozieren war das Markenzeichen des schwedischen Künstlers Lars Vilks. Wegen seiner Zeichnung des Propheten Mohammed als Hund setzten religiöse Fanatiker ein Kopfgeld auf ihn aus. Doch seine öffentlichkeitswirksame Tätigkeit geht sehr viel weiter zurück. 
Erinnerung an Lars Vilks - in einem Beitrag von 2010 für das Deutschlandradio und in einem Gespräch mit Massimo Maio für Kompressor auf Deutschlandfunk Kultur 2021 
 

Nimis liegt am Strand. Lars Vilks, graue zerzauste Haare, Hornbrille, schlanke Gestalt, klettert durch eine Landschaft aus hölzernen Skulpturen. Ein Bauwerk mit Gängen aus krummen Stämmen, schief genageltem Treibholz und gezimmerten Türmen, die man erklimmen kann. Abenteuerspielplatz und Kunstwerk mit krautiger Außenstruktur zugleich: „Ich bin ein Amateur, das Schreinerhandwerk habe ich nie von der Pike auf gelernt. Ich habe mir das selbst ausgedacht und mir so viel Wissen angeeignet, dass das Kunstwerk keine Gefahr ist für die, die darin rumklettern.“

1980 begann Vilks in der Bucht angeschwemmte Latten und Äste aufzuschichten. Seine Skulptur „Nimis“, lateinische für „zu viel“ wuchs rasch in ungeahnten Dimensionen. Doch auch die Wut seiner umweltbewegten Nachbarn nahm bald bedrohliche Ausmaße an, sagt der 64-Jährige: „Manche kritisieren nur, andere drohen mit Prozessen und einige kommen mit Benzinkanistern. Aber alle machen etwas, reagieren auf die Situation. Der Betrachter erschafft das Werk.“

Um seine Kunst zu retten, ruft Vilks das umliegende Naturschutzgebiet kurzerhand zum Freistaat „Ladonia“ aus. Die umstrittene Skulptur hat er dem deutschen Filzkünstler Joseph Beuys verkauft, erzählt der Schwede auf dem Rückweg zum Auto und beugt sich hinab, um einen Blick unter seinen Wagen zu werfen. Weil er vor drei Jahren den Propheten Mohammed als Hund zeichnete, haben religiöse Fanatiker ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt: „Du musst immer aufmerksam sein, aufpassen, dass dich keiner verfolgt. Am Anfang wusste ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich glaubte, die Al Kaida lauert hinter jeder Ecke, ausgerüstet mit der neusten Technik. Aber so ist das nicht. Nach und nach versteht man, dass das Risiko nicht allzu groß ist. Auf der anderen Seite ist die Bedrohung immer präsent.“

Lars Vilks hat etwas Angestrengtes im Blick, wenn er redet. Die Augen fest auf einen fernen Punkt gerichtet. Er wirkt nicht ängstlich, aber ernst. Die intensive weltweite Debatte über seine Zeichnung hat Spuren hinterlassen – und ihn ein Stück Freiheit gekostet. Sein kleines Haus in Schonen, in dem er allein wohnt, gleicht heute einer Festung. Bewegungsmelder. Videokameras. Seine Partnerin hält er da raus, Kinder hat er keine. Die Zeichnung von Mohammed würde er trotzdem immer wieder machen: „Ich interessiere mich für die Grenzen der Kunst. Ich wollte keinen niedlichen Hund malen, sondern etwas Verbotenes. Natürlich gibt es eine moralische Verantwortung und man sollte sich im Klaren darüber sein, warum man so etwas macht. Hier geht es nicht gegen Muslime, sondern darum, was man heute über die Religion sagen darf. Es kann nicht sein, dass einige Überzeugungen heiliger als andere und Scherze über sie verboten sind.“

Provozieren ist Lars Vilks Markenzeichen. Der Schwede ist ein Autodidakt in Sachen Kunst. In den 70er-Jahren macht er erste Versuche im Bereich der Malerei. In den 80er-Jahren promoviert er in Kunstgeschichte und verlegt sich ganz auf seine eigensinnigen Skulpturen. Einmal definiert er sich selbst als Kunstwerk und liefert sich beim Frühjahrssalon in Helsingborg ein. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit? „Ein Künstler darf nicht zugeben, dass er auf Aufmerksamkeit und Originalität aus ist. Das wird als schlechter Stil angesehen. Sein Schaffen soll authentisch sein und aus ihm selbst kommen. Alles, was gewollt ist, ist schlecht. Aber das ist doch gelogen: In der Kunst ist es absolut notwendig, sich zu profilieren.“

Lars Vilks profiliert sich weiter mit dem Thema Meinungsfreiheit. An der Universität von Uppsala zeigt er ein Video mit nackten Homosexuellen, Mohammed-Masken über den Gesichtern, in anzüglichen Stellungen. Vilks wird daraufhin ausgebuht, tätlich angegriffen, kurz darauf zündet ein Brandsatz an seinem Haus. Trotzdem bleibt er gelassen, verglichen mit der Situation vor drei Jahren hat sich die Lage entspannt: „Es ist offensichtlich, dass ich kein Extremist bin. Ich gehöre nicht zu irgendeiner Gruppierung, habe keine Vergangenheit. Ich komme aus dem Nichts und mache meine Kunst. Das ist wohl die beste Voraussetzung, die man haben kann, um eine Diskussion darüber anzuzetteln, was man sagen darf und was nicht.“

Vielleicht ist es die Weisheit des Alters, die ihn so gelassen macht. Oder die Erkenntnis, dass auf jeden Sturm eine Windstille folgt. Das war zumindest im Fall von Nimis so, das heute eine Touristenattraktion ist mit mehr als 30.000 Besucher pro Jahr. Dass die Diskussion über die Mohammedkarrikatur abgeflaut ist, ist hingegen kein Zeichen dauerhaften Friedens. Darum geht es auch gar nicht, meint Vilks: „Wir sollten demokratische Werte wie die Meinungsfreiheit verteidigen. Das ist die Voraussetzung für eine menschliche Gesellschaft. Und dass man sich entrüstet ist ja die Voraussetzung, um diskutieren zu wollen. Dass ich der dabei der „bad guy“ bin, spielt dabei keine so große Rolle.“


Die Grenzen der Kunst - Der schwedische Künstler Lars Vilks - Beitrag für Deutschlandradio 2010


 


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Holzskulpturen am Stand, Mohammed Karikaturen in der Zeitung - das Werk des schwedischen Künstlers Lars Vilks
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Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

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