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23.10.2011

Die Krise macht erfinderisch: In Island boomt das Stricken

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Strickpullover hören? An ältere Damen, die vor dem Fernseher Handarbeit treiben oder an traditionelle Norwegermuster? Weit gefehlt, zumindest, wenn man nach Island guckt. Dort hat die Bankenkrise aus der Not eine Tugend gemacht, Handarbeiten aller Art haben eine Renaissance erlebt, nicht nur bei älteren Leuten. Ein Besuch in Reykjavik.

ATMO 1 Café

Das Café KaffismiÄ‘ja am Rande der Innenstadt von Reykjavik am Vormittag. Die Gäste sind jung und unkonventionell gekleidet, die Einrichtung besteht aus wild zusammengewürfelten Möbeln. Tinna Thorudottir Thorvaldsdottir, Ende 20, roter Schal, Pierching in der Oberlippe, sitzt vor ihrem Laptop und zählt Häkelmaschen.

O-TON 1 Tinna Thorudottir Thorvaldsdottir:

Ich entwerfe gerade Texte für ein Häkelbuch. Traditionelle Handarbeiten wie Häkeln und Stricken sind nach der Bankenkrise wieder groß in Mode gekommen. Aus Wolle kann man alles machen, Mützen, Decken oder Baby-Overalls. Meinen kleinen Jungs ziehe ich das auch an.

Seit die Banken pleite sind, greifen immer mehr Isländer zu Nadeln und Wolle. Wo einst feinmaschige Nylonstrümpfe die Blöße zwischen High Heels und Chanel-Kostüm umschmeichelten, kratzen jetzt Wollsocken. Die Krise habe auch etwas Gutes, sagt Tinna:

O-TON 2 Tinna Thorudottir Thorvaldsdottir:

Natürlich ist es nett, Geld zu haben, es macht vieles einfacher. Aber ich habe nie an diesem Boom teilgenommen. Wir waren auf dem falschen Weg. Jetzt, wo das Geld weg ist, haben sich die Menschen wieder auf die Traditionen und Werte wie das Stricken zurückbesonnen.

ATMO 2 Laden der Handstrickvereinigung

Die Wolle gibts bei der Handstrickvereinigung Islands. Gegründet wurde sie vor gut dreißig Jahren von strickenden Frauen, die mit ihrer Arbeit etwas zum Familieneinkommen hinzuverdienten. Heute hat sie 200 aktive Mitglieder, die zuliefern. Die Auftragslage sei gut - der Krise sei Dank, sagt Bryndis Eiriksdottir, die Chefin der mächtigen Handstrickvereinigung:

O-TON 2 Bryndis Eiriksdottir:

Die Isländische Krone ist nicht mehr so stark anderen Währungen gegenüber. Die Touristen kaufen mehr. Statt Mützen wollen sie jetzt Pullover. Die gehen am Besten.

Im Laden der Handstrickvereinigung hängen ausgefallene Strickponchos neben Ketten aus wollenen Perlen und bunten Kaffeewärmern. Amber Bondy, eine junge Touristin aus Kanada, ist begeistert:

O-TON 3 Amber Bondy:

Die Strickwaren in Island sind wunderschön. Das Design ist lustig, aufregend. Es unterscheidet sich von den irischen Modellen, die ich zu Hause auf der Rundstricknadel hatte. Es ist ein Design, das Spaß macht.

Bondy hat es ein dicker grauer Pullover mit ausladendem Halsmuster und stilisierten Schafen angetan. Das Muster kann man auch in einer der Strickzeitungen nachlesen, deren Auflagen in den letzten Jahren stetig steigen. Wer tiefer einsteigen will, bestellt sich eine Strick-DVD oder fragt Bryndis Eiriksdottir nach dem richtigen Garn:

O-TON 4 Bryndis Eiriksdottir:

In Island gibt es ein Sorte Schaf, das liefert uns die Wolle. Es hat feines weiches Unterhaar und dickes langes Haar, das außen gegen Schnee und Regen schützt. Beide Schichten werden gemischt, was die Wolle dick, aber nicht so schwer macht.

Und dann kommen die bunten poppigen Farben ins Spiel. Und weil es in Island viele Monate lang ziemlich kalt ist, gehören dicke Pullis nunmal zum Straßenbild. Sogar Reykjaviks berühmter Bürgermeister Jon Gnarr ist schon mit einem Selbstgestrickten gesehen worden.


Ein Beitrag für Deutschlandradio - Neonlicht

Foto: © Agnes Bührig

 


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In Island hat die Bankenkrise aus der Not eine Tugend gemacht: Handarbeiten aller Art haben eine Renaissance erlebt, nicht nur bei älteren Leuten.

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Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

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