Kunstfestspiele Herrenhausen 2018
08.02.2007

Springender Hirsch auf Haifischflosse - Wolgas in Lettland im Trend

Totgesagte leben länger. Das kann man derzeit in den einstigen Sowjetrepubliken Estland, Litauen und Lettland beobachten. Dort feiert die russische Nobelmarke „Wolga“ in diesen Tagen ihr Comeback. Einst war die Automarke der Besatzer als Taxi auf Rigas Straßen unterwegs, heute kann sie sich jeder leisten. Macht sich Ostalgie nun auch in Lettland breit?

ATMO 1 Wolga wird gestartet

Ainars Pavulans startet das Urmodell des Wolgas. Links neben dem großen Steuerrad schimmert modisch eine helllilafarbene Armatur mit eckigen Anzeigen für Benzin und Geschwindigkeit. Ein halbes Dutzend Oldtimer nennt der schüchterne Lette sein Eigen. Doch der schwarze, blitzblank gewienerte Wagen aus den 50er Jahren ist sein ganzer Stolz:

O-TON 1 Ainars Pavulans (Lettisch):

Als ich ein kleiner Junge war, mit 6, 7 Jahren, da habe ich davon geträumt, einen Wolga zu besitzen. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass es einmal so ein Autopark wird.

Seine Leidenschaft für alte Autos teilt Ainars Pavulans mittlerweile mit seiner Freundin Una Krievina. Als sie ihre Abschlussarbeit im Fach Wirtschaftswissenschaften schrieb, kam die 22-jährige auf die Idee, mit den Wolgas auch Geld zu verdienen. Inzwischen vermieten die beiden ihre Oldtimer an Geschäftsleute und Brautpaare. Das war früher anders. In der Sowjetzeit war der Wolga für normale Letten unerreichbar, sagt die Soziologin Dagmar Breitner:

O-TON 2 Dagmar Breitner (Lettisch):

Es war sehr schwer, an ein Auto zu kommen, geschweige denn an einen Wolga. Den bekamen nur die Vorsitzenden der Kolchose, Schauspieler oder die Beamten in der sowjetischen Nomenklatura. Die Menschen mussten damals ein Leben lang sparen. Heute können sie sich ihre Träume erfüllen.

ATMO 2 Musik 50er Jahre

Den Urwolga gibt der russische Diktator Josef Stalin in den 40er Jahren in Auftrag. Er heisst Pobeda – Sieg - und rollt pünklich zum Triumph über Nazideutschland 1945 vom Band. Dieses Modell ist das Vorbild für den ersten Wolga, der gut zehn Jahre später entwickelt wird. Als Vorlage dient der Opel Kapitän. Das bot sich an, schließlich hatten die Russen die Produktionsanlagen zuvor in Deutschland abgeschraubt. Wolga Nummer eins hat runde Glupschaugen, einen Motorgrill als würde ein Haifisch das Maul aufreissen und einen Sowjetstern im Wappen.

O-TON 3 Ainars Pavulans (Lettisch):

Die russischen Beamten meinten damals, ohne den Stern gehe es nicht. Doch schon nach zwei Jahren wurde er durch einen springenden Hirsch vorne auf der Kühlerhaube ausgetauscht. Das wiederum erhöhte die Unfallgefahr. Aber ein Wolga ohne Hirsch, das ist doch kein Wolga.

ATMO 3 Fahren

Sagt Ainars Pavulans und fährt gefühlvoll um die Kurve. Sein Blick schweift dabei über die grazile silbern glänzende Tierfigur auf dem Kühler seines Wolgas. Drei Monatsgehälter muss man heute auf den Tisch legen, um einen original Wolgahirsch zu ergattern. Doch die große Aufmerksamkeit, die der Wolga auf sich zieht und so erhaben, wie man mit ihm durch die Strassen cruisen kann, sie sind es wert, meint der 42-Jährige.

ATMO 4 Musik 50er Jahre

Mit Ostalgie habe das wenig zu tun. Anders als in Ostdeutschland, wo manch alte DDR-Marke heute wieder gern gekauft wird, dürfte kaum ein Lette den Produkten der ehemaligen Besatzer allzu viele Tränen nachweinen. Beliebt sei der Wolga vielleicht eher, weil er sich als Statussymbol von damals in die Neuzeit rübergerettet hat. Oder, wie Una Krievina es ausdrückt:

O-TON 4 Una Krievina (Lettisch):

Die Menschen haben gelächelt und gewinkt als wir einmal nach Polen gefahren sind. Das wäre mit einem normalen Wagen nicht passiert – im Wolga zu fahren, das ist eben ein ganz besonderes Gefühl.


Ein Beitrag für WDR - Funkhaus Europa

Foto: Aktron / Wikimedia Commons


Zurück

In Estland, Litauen und Lettland feiert die russische Nobelmarke „Wolga“ ihr Comeback.

Neuere Themen:

Podcast Lebenserinnerungen der Bergen-Belsen-Überlebenden Irene Butter
FAQ-Room Spezial im Hörspielhaus von Agnes Bührig, Barbara Heine und Gala Othero Winter

Die Krise macht erfinderisch: In Island boomt das Stricken
In Island hat die Bankenkrise aus der Not eine Tugend gemacht: Handarbeiten aller Art haben eine Renaissance erlebt, nicht nur bei älteren Leuten.

Über mich

Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

Mehr >>

Bild von falco auf Pixabay