Sie campieren unter Brücken oder liegen in U-Bahnhöfen: Menschen ohne Obdach. Mehr als eine halbe Million zählte die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres in Deutschland - und es werden immer mehr. In Hannover soll der Aktionsplan Obdach 2030 Obdachlosigkeit vermeiden, ein Thema auch auf dem Kirchentag.
Essensausgabe im Vesper-Kirchen-Zelt vor dem Hauptbahnhof von Hannover. Diakonie, Kirchenkreis und Bahnhofsmission haben sich zusammengetan, um mit einer kostenlosen, warmen Mahlzeit für alle auf die Notlage von in Armut lebenden Menschen aufmerksam zu machen. An langen Bänken mischen sich frisch in Hannover eingetroffene Kirchentagsgäste mit Menschen in Not. Anna – Wollmütze, graue Zöpfe, einen dicken Rucksack unter dem Tisch – hat jahrelang mit der Wohnungslosigkeit gekämpft.
Ich musste immer ausziehen. Wegen - darf ich gar nicht sagen – Hetze von gewissen Nachbarn. Und wenn man einmal wegen so etwas ausziehen musste, hat man den Schwarzen Peter, da gucken die Richter, wenn man auch vor Gericht zieht vor Räumungsklagen, um das Ganze hinauszuzögern und weiter eine neue Wohnung zu suchen, um Zeit zu schinden.
Obdach 2023 will Abhilfe schaffen
Menschen mit Wohnraum zu versorgen, ist das zentrale Thema im Aktionsplan Obdach 2030. Bis Ende des Jahrzehnts will die Stadt Hannover mit ihm Obdachlosigkeit vermeiden. Dafür hat sie jüngst ein Strategiepapier vorgestellt, das in einem einjährigen Beteiligungsprozess der Stadt von Vertretern der Sozialhilfe und Wohlfahrtspflege gemeinsam mit den Betroffenen selbst entwickelt wurde. Es enthält 60 Vorschlägen für Maßnahmen. Geplant sind unter anderem eine Quote für Sozialwohnungen, ein Ausbau sozialer Angebote sowie mehr Straßensozialarbeit außerhalb der Innenstadt. Außerdem soll auch das Wohnen im Freien ermöglicht werden, sagt Hannovers Sozialdezernentin Sylvia Bruns.
Ich hatte auch mit jemand mal gesprochen, der sagte, du, ich wohne seit 20 Jahren in der Eilenriede im Zelt. Ich will da auch gar nicht weg. Ich kann nicht in eine Unterkunft, ich kann auch nicht in eine Wohnung, weil ich Decken und Wände nicht mehr ertragen kann. Und ich bin da ganz zufrieden. Und da finde ich, ist ein schönes Projekt, auch in dem Bereich zu sagen: Was bieten wir denn für die Menschen an? Und da ist bei Obdach 2030 entstanden, eine Freifläche anzubieten, wo die Menschen übernachten können in einem geschützten Bereich.
Ziel ist es, individueller auf die Bedürfnisse der Menschen ohne Wohnung einzugehen. Notunterkünfte für viele sollen reduziert, kleinere Einzelzimmer mit Nasszelle und Kochbereich neu gebaut werden, damit jede und jeder auch langfristig wieder ein zu Hause bekommt. Das rechnet sich zudem. Für Notunterkünfte oder Hotels würden pro Kopf 1400 Euro fällig. Bei Unterbringung in Wohnungen reduziere sich die Summe auf weniger als ein Viertel, haben Berechnungen der Stadt ergeben.
"Mein Hannover" - Menschen ohne Obdach fotografieren ihren Alltag
Es ist ein Thema, mit dem auch die Besucher auf dem Kirchentag konfrontiert werden. „Mein Hannover“ heißt die Ausstellung in der evangelisch-reformierten Kirche, für die Menschen ohne Wohnung ihren Alltag fotografiert haben. Dunkle Fotos von Unterführungen und U-Bahnhöfen sind da zu sehen, nur als Silhouette ist ein Mann vor einem leer gegessenen Teller auszumachen. Möglich gemacht hat das Projekt die Niedergerke Stiftung in Hannover. Seit Jahren setzen sich die Stifter Ricarda und Udo Niedergerke für Menschen ohne eigene Wohnung ein, sagt Udo Niedergerke.
Ich denke, die Wohnungs- und Obdachlosen müssen erst einmal sichtbar gemacht werden. Wir dürfen nicht an ihnen vorbeihuschen, verschämt vielleicht noch, wenn sie ihr Nachtlager aufschlagen. Nein, wir müssen den Blick auf sie richten, sie ansprechen, mit ihnen sprechen. Fast alle sind leidend, sind krank, sind behindert in irgendeiner Weise. Das müssen wir in die Öffentlichkeit bringen, damit die Leute einen anderen Zugang oder überhaupt einen Zugang zu diesen Ärmsten der Armen finden.
Inklusion von Menschen ohne Wohnraum
Im Vesper-Kirchen-Zelt gelingt das soziale Miteinander bereits. Menschen mit und ohne Wohnung kommen hier ins Gespräch. Tom hat sich gerade einen kostenlosen Teller mit Reis und Falafel geholt. Der 36-Jährige war drei Jahre weg aus Deutschland und erzählt, wie er jetzt mit der Bürokratie kämpft, um dauerhaft sesshaft zu werden.
Wenn ich habe zurück gekommen nach Deutschland, hatte ich große Schwierigkeiten, zurück ins System zu kommen. Deswegen: Das ist siebente Monat, dass ich bin obdachlos, nur Schlafstelle, Rotes Kreuz. Habe ich kein Einkommen, schon sieben Monate und gibt es keine Lust, dass meine Not ist verstanden. Und diese Wohnungsunterkunfts-problem stoppt mich bei jeder anderen Sache in meinem Leben.
Hilfsangebote bündeln
Für die meisten Sachen in Toms Leben gibt es Hilfsangebote. Doch nicht immer sind sie leicht zu finden. Das Ziel, sie zu bündeln, hält auch Sozialdezernentin Sylvia Bruns für wichtig. Um den Aktionsplan Obdach 2030 umzusetzen, soll jetzt eine Expertenkommission gebildet werden. Anne Wolter, die beim Diakonischen Werk Hannover die zentrale Beratungsstelle für von Armut betroffene Menschen leitet, begrüßt das. Nicht zuletzt, weil die Problemlagen sehr unterschiedlich seien. Jedoch:
Dass die Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 abgeschafft wird, ist nicht umzusetzen aus meiner Sicht. Aber es ist wichtig, dass das Thema in den Fokus gerät, dass das auf Bundesebene mitbesprochen wird und dass sich die Länder und Kommunen dem annehmen. Und deswegen ist das eine sehr gute Sache.
Beitrag für die Redaktion Deutschland heute im Deutschlandfunk
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