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01.12.2021

Von Sternenkindern, modernen Ernährungslaboren und alten Diakästen

Wie verarbeiten Angehörige den Tod ihres Kindes kurz vor, während oder nach der Geburt? Dieser Frage ist die Fotostudentin Stefanie Silber aus Hannover in ihrer Arbeit „Laute Stille“ nachgegangen. Sie ist damit für den mit 10 000 Euro dotierten VGH Fotopreis 2021 ausgezeichnet worden, weitere fünf Arbeiten von Studierenden der Hochschule Hannover erhielten eine lobende Erwähnung. Zu sehen sind die Arbeiten bis zum 9. Januar 2022 in der Galerie für Fotografie in Hannover. 

Ein leerer Raum mit einer breiten, weißen Couch, auf einem Tischchen hochkant ein Paket. Doch die schwarz-weiße Schleife auf der Oberseite ist kein Geschenkband. Es ist ein gesticktes Lotband, mit dem Bestatter*innen Särge dekorieren. Im Inneren des Pakets ist ein verstorbenes Neugeborenes, das aufgrund des unterschiedlichen Bestattungsrechts in verschiedenen Bundesländern erst vier Monate nach seinem Tod zu seinen Eltern zurückgekehrt ist. Dass sie Stefanie Silber an diesem intimen Moment teilnehmen lassen, hat mit ihrer behutsamen Arbeitsweise zu tun.

„Ich habe versucht, zu lernen. Und das hieß, sehr viel Zeit mit den Familien zu verbringen. Da ich selber nicht betroffen bin, war es für mich sehr wichtig, so weit wie möglich mich hinein empfinden zu können. Ich habe selbst eigene Themen mit einer lebenslangen Schmerzbegleitung, also mit eigenen Traumata, durch einen Unfall zum Beispiel, sodass ich an manchen Punkten versuchen kann, mich hineinzudenken.“

Seit 2010 berät die gelernte Buchgrafikerin aus Hamburg Bestatter*innen in Grafikdesign und Fotografie, vor vier Jahren hat Stefanie Silber ihr Fotoprojekt „Laute Stille“ begonnen. In der Ausstellung zeigt die 46-Jährige Bilder von zehn Familien. Ein Kuchen mit drei Kerzen ist da zu sehen, mit dem an den Geburtstag eines verstorbenen Kindes erinnert wird. Auf einem anderen beugen sich drei Jungs über ihren Vater im Lehnsessel, der das tote Geschwisterchen im Arm hält, ein sogenanntes Sternenkind.

Aus trauerbegleiterischer Sicht werde ich immer von Kindern auch sprechen, weil es für die Eltern ihre Kinder sind und diese medizinischen Bezeichnungen so eine Abgrenzung bringen. Und deswegen mag ich auch das Wort „Sternenkinder“ immer noch, weil es so ein offeneres Dach bildet und man nicht so Schubladen braucht, die medizinisch dabei sind.

Auch Anna Fritsche übersetzt menschliche Gefühle - mit poetischen, dunklen Bildern von Pflanzen. „Weil es nie einen richtigen Raum dafür gibt“ heißt ihre Arbeit, in der Frauen von Erlebnissen sexualisierter Gewalt erzählen. Aristidis Schnelzer und Ole Witt widmen sich dem klassischen Fotojournalismus. Sie haben Labore der Medizintechnik und Nahrungsmittelindustrie von morgen fotografiert, sagt Foto-Professorin Karin Fromm von der Hochschule Hannover.

Hier ist es tatsächlich ein Labor, ein Institut, wo das bestimmte Verhalten von bestimmten Fliegen erforscht wird, die dann aber wiederum für Ernährung genutzt werden sollen. Und was er eben sehr spannend macht, finde ich ist, dass er an all diese Orte geht, wo diese Nahrungsmittel erforscht oder auch schon hergestellt werden. Dass er aber dabei in der Art und Weise, wie er das fotografiert, eben also auch ein bisschen mit dieser Fremdheit, dem surrealen Ambiente dieser Orte arbeitet.

Künstlich wirken diese Orte, durch Blitzlicht erhellt. Den Kontrast dazu bilden vergilbte Fotos aus der Nazizeit, die Malte Radtki neben einem Tisch mit altmodischen Dia-Kästen und Leuchtfläche präsentiert und so die Lebensgeschichte seines Großvaters nach dem Krieg hinterfragt. Eine sehenswerte Ausstellung, die von der Installation über die künstlerische Fotografie bis zum klassischen Dokumentarfoto reicht.


Beitrag für NDR Kultur


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VGH-Fotopreis 2021 in der Galerie für Fotografie Hannover

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Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

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