Welchen Beitrag kann ein freies Theater zum Umdenken in Sachen Klimawandel leisten? Diese Frage stellen sich Theaterleute des Theaters an der Glocksee und des Theaters zwischen den Dörfern aus der Region Hannover. Basierend auf der Graphic Novel von Lukas Jüliger „Unfollow“ entwickelten sie einen theatralen Klima-Pilgerpfad an der Flüsse zwischen beiden Theatern.
Los geht’s im Norden Hannovers, wo Ihme und Leine zusammenfließen. Hinten auf der Wiese läuft der Ghettoblaster einiger Jugendlicher, vorn am Fluss zwitschern Vögel in den Bäumen. Die gleichmäßige Bewegung des Wassers wirkt beruhigend. Flussgedanken gibt’s auch in Station eins der Theaterapp: "Ihn einzuatmen, den Geruch, den er verströmt, sich wach und aufmerksam auf den Boden setzen und einfach zuhören."
Die Natur und ihre menschengemachte Veränderung: 24 Kilometer entlang der Ihme führt die Strecke, die das Theater an der Glocksee und das Theater zwischen den Dörfern außerhalb Hannovers verbindet. An 30 Punkten tauchen gelesene Flussgedanken und kleine Videos zu Natur- und Klimathemen auf. Dass von der Mündung zur Quelle gelaufen wird, hat einen Grund, sagt Noa Wessel vom Theater zwischen den Dörfern:
„Es ist höchste Zeit, dass wir was tun, dass wir umdrehen. Das ist das, was wir bildlich so wunderbar vor uns haben mit dieser Entscheidung, wir gehen gegen den Strom. Das ist anstrengend und das ist unbequem. Aber wir sehen nicht, was wir sonst tun könnten. Das Mitschwimmen mit dem Strom, mit dem ´Mal sehen, wo es uns hintreibt´, die Zeit ist auf jeden Fall vorbei.“
Inspiriert ist „Unfollow Now“ von der Graphic-Novel von Lukas Jüliger "Unfollow", Zeichnungen aus dem Buch tauchen im Begleitmaterial zur Klimawanderung auf: Pflanzen, Tiere und Landschaften, der siebenjährige Earthboi, der sich verunsichert durch einen Abgasnebel tastet. Mit seiner Liebe zur Natur wird er zum Gründer einer Nachhaltigkeitsbewegung, ein Social-Media-Star und Influencer. Ein guter Protagonist für die Wanderung, denn auch das Klimapilgern findet zum Teil in der digitalen Welt statt, sagt Nina Reimann.
„Ich hatte den Impuls, dass wir da versuchen, Positivbeispiele zu zeigen, weil Social Media auch sehr erdrückend und sehr negativ sein kann und auch mit meiner Perspektive aus der jüngeren Generation sehr runterziehend sein kann anstatt zu motivieren. Und deswegen sind wir da in positivere Gegenrichtung zu dem Ende der Novel gegangen, um zu gucken: Okay, was gibt es aber für gute Möglichkeiten, und dass diese Plattform auch für etwas Positives genutzt werden kann.“
Fast ein bisschen öko-kitschig wirken da die Ansichten von Naturphänomenen wie Wellen, dem Nordlicht oder einem anmutigen Seepferdchen auf sphärischer Musik in einem Video auf der Strecke. Ein anderes ist hochpolitisch. Denn vorbei führt der theatrale Pilgerpfad auch am Südschnellweg. Anfang 2024 gab es hier ein Protestcamp gegen den Ausbau der vierspurigen Ausfallstraße. Beeindruckt hat Teilnehmerin Britta Bremer aber eine Lesung während eines geraden Weges durch Felder.
„Es wurde einfach nur ganz simpel vorgelesen, die Liste der bedrohten Arten in Niedersachsen. Und man geht dann da so durch diese Felder - und unter anderem die Feldmaus gehört auch dazu - und guckt sich so um. Man denkt sich so: Ich sehe zwar, was da wächst auch ein bisschen etwas am Wegesrand, aber Tiere habe ich tatsächlich jetzt noch nicht so viele gesehen - und die Liste ist erschreckend lang.“
Meditativ, politisch, künstlerisch facettenreich ist dieses theatrale Klimapilgern - und wer sich einlässt, kann viel entdecken am Wegesrand, worüber er oder sie sonst vielleicht nur redet – oder einfach daran vorbeigeht.
Beitrag für die Sendung Corso des Senders Deutschlandfunk Kultur
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