Was ließe sich mit einem stillen Streik erreichen? Etwa, wenn sich alle Frauen einfach auf die Straße legten und die Arbeit einstellten? Eine Frage, die die österreichische Autorin Mareike Fallwickl in ihrem 2024 erschienenen Roman „Und alle so still“ stellt. Jetzt kommt er am Schauspiel Hannover erstmals auf die Bühne - ein Probenbesuch.
Guten Abend und willkommen zu.. Halt! Halt! Ich muss leider unterbrechen.. (Bühnenzitat)
Auf einer blauen, schrägen Fläche sitzen und liegen etliche Frauen am Boden, unterhalten sich und tun ansonsten: nichts. Ob es anhaltende Unruhen sind, wie ein Nachrichtensprecher im Video über der Bühne vermeldet oder ein Protest, wie eine der Akteurinnen ruft, ist strittig. Tatsache ist, dass sie sich zusammengeschlossen haben, weil sie erschöpft sind und sich dem System verweigern, sagt Regisseurin Jorinde Dröse:
"Sie beschließen erstmal nur, nicht mitzumachen. Also sie haben keinen Plan. Sie haben keine Forderung. Sie wissen auch nicht, wie es weitergeht. Aber der erste Schritt, meines Erachtens, auch des Protestes, ist erstmal ein Sichtbarmachen von „ich mache nicht mehr mit, ich ziehe mich raus aus der Verfügbarkeit des Systems“. Weil das System basiert auf der Verfügbarkeit von menschlicher Arbeit."
Menschlicher Arbeit von Frauen: unbezahlt als Mütter, schlecht bezahlt als Reinigungskraft oder Kindergärtnerin, allseits sexuell verfügbar für den Partner. Ihre Belastungen spiegelt Autorin Mareike Fallwickl in der burnoutgefährdeten Pflegekraft Ruth, und sie erweitert den Kreis: auch Nuri, der über seinen Vater, einen Fabrikarbeiter, sinniert, ist ermattet.
Einer wie er hat es nie nach oben geschafft, einer wie er hat immer nur andere reich gemacht. Und jetzt ändert sich alles um ihn herum, ohne dass er es versteht. (Bühnenzitat)
Aufgewachsen in prekären, bildungsfernen Verhältnissen, hält sich Nuri mit mehreren Jobs über Wasser. Denn das Patriarchat macht auch die Männer zu Verlierern, sagt Schauspieler Fabian Dott:
"Männer gehen in den Krieg für Männer und leiden und sterben als Beispiel, aber eben auch in der Gesellschaft. Wenn Amazon Pakete ausliefert, dann sind das eben auch Männer, die zu unfairen Arbeitsbedingungen arbeiten. Wenn Männer begreifen würden, dass Männer dieses patriarchale System befördern, unter dem sie selbst leiden, dann wären sie natürlich viel stärker daran beteiligt, das zu verändern."
Das sind Proteste, das ist der Aufschrei einer Gesellschaft, die zugrunde gerichtet wurde. (Bühnenzitat)
In „Die Wut, die bleibt“ - dem vorigen Roman von Mareike Fallwickl, der am Schauspiel Hannover von Jorinde Dröse inszeniert wurde, gab es den roten Faden einer Familiengeschichte. In „Und alle so still“ ist die Umsetzung für die Bühne schwieriger: Es gibt es viele Figuren und etliche Orte, ein Chor aus Stimmen, der zur Gesellschaftskritik anschwillt. Eine Dystopie, die zugleich viel Humor hat – und das Existentielle des Protests auch in nicht-menschliche Figuren gießt, sagt Jorinde Dröse:
"Mareike Fallwickl hat ja auch diese magischen Figuren reingeschrieben wie Pistole, Gebärmutter und Berichterstattung. Und auch ihre Setzung, dass das System innerhalb von sieben Tagen zusammenbricht und diese Zustände, die sie beschreibt, das ist ja fiktional. Und deswegen bietet sich das natürlich an, das auf die Bühne zu bringen und dabei zuzugucken, was dieser System-Clash eigentlich heißt."
Jetzt merken die Leute erst, was richtig Scheiße ist, wenn niemand mehr putzt. Was dann alles nicht mehr geht. (Bühnenzitat)
Wenn die Bahn oder die Müllabfuhr streiken, merken wir das. Wie würden wir es merken, wenn alle Frauen streiken würden? Vielleicht über die Gemeinschaft bunter, tanzender Menschenansammlungen, die sich am Ende von „Und alle so still“ solidarisieren, den stillen Protest brechen.
Beitrag für NDR Kultur
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