„Fragen an die Demokratie“ – unter dieser Überschrift nimmt die Präsidentin des Niedersächsischen Landtags, Hanna Naber, in dieser Legislaturperiode den Zustand der Demokratie in den Blick. 2024 gehts dabei ums Zuhören, um das Gefühl, von der Politik nicht mehr gehört zu werden - ein Thema, zu dem fünf Poetry-Slammer im großen Foyer des Landtags Stellung bezogen.
"Was gibt uns denn als Menschen unseren Wert? Sind es Steuern oder Arbeit oder Produktivität? Sind es Sitten, Traditionen, Kultur oder Glaube? Ist es Sprache, sind es Zahlen oder Farben unserer Haut? Sag mir, was ist das Schlagwort, um dir Recht zu geben?"
Antonia Josefa aus Hannover ist die kämpferischste und politischste unter den fünf Poetry-Slammern. In eleganter schwarzer Abendrobe tritt sie in der fast bis auf den letzten Platz besetzen Portikushalle vor das mehrheitlich junge Publikum und beleuchtet wunde Punkte der politischen Debatte. Darunter ist die Migration, betrachtet aus ungewöhnlichem Blickwinkel: Wäre ihre Uroma im Krieg nicht nach Ostdeutschland geflohen, sie selbst stünde heute nicht hier.
Ihr Kollege Friedrich Herrmann aus Jena hingegen arbeitet sich sehr unterhaltsam an politischem Personal ab, dem schweigenden Bundespräsidenten: "Frank hängt da seit sieben Jahren auf seinem Schloss ab, seitdem gabs eine Pandemie, ´nen Überfall auf die Ukraine, Inflation, einen Krieg im nahen Osten und wir mussten Chantal im Märchenland an der Spitze der deutschen Kinocharts ertragen. Und er hält zu allem einfach seine Fresse? Was ist mit dir, Frank?"
Jeder der fünf Bühnenpoeten darf zweimal für maximal sieben Minuten seine Texte vortragen. Dann hält eine achtköpfige Jury im Publikum Wertungsziffern zwischen eins bis zehn hoch. Wer die meisten Punkte auf sich vereinen kann, kommt ins Finale. Gleich zwei Poetry-Slammer thematisieren das Thema messbarer Erfolg in ihren Texten. Luca Zmatlik als Glinde und Lotta Emilia, die ins Finale kommt. Der Vergleich der Münchnerin von Ziffern und Worten ist zugleich eine Hommage an die Sprache:
"Ausgesprochen oder zwischen den Zeilen? Es sind doch beständig die Worte, die bleiben. Ich erinner´ mich nicht an meine Mathenote im ersten Halbjahr der ersten Klasse, aber an das Gespräch, das ich mit meiner Lehrerin hatte. Über Bedenken, Fragen, Zuversicht. Durch Lebensentscheidungen hindurch begleitet es mich. Bis heute: Ich bin ein Mensch der Worte."
Klare Worte sind es durchweg an diesem Abend. Auch wenn der Versuch für Shafia Hawaja aus Leipzig schmerzhaft ist, die verschiedenen Bilder, die sie mit einem Ort wie Hoyerswerda verbindet, in Einklang zu bringen: Auf der einen Seite das Bild eines marodierenden Mobs in den 1990ern, der Jagd auf Einwanderer macht, auf der anderen Seite ihre Erfahrung unbeschwerter Sommerferien:
"Das alles passiert in einer Stadt, wo meine Oma wohnt, wo meine Mutter aufgewachsen ist, wo ich die Sommer verbracht habe. Und jetzt ist es so viele Jahre später und ich denke an die 22 Prozent. 22 Prozent, die bei der nächsten Bundestagswahl die AfD wählen würden. Ich bin noch nicht einmal mehr wütend. Ich bin nicht mehr schockiert, ich habe Angst, aber das ist nichts Neues, ich bin müde. Aber das ist nichts Neues. Wie viel kann ich denn noch schreiben und sagen und schreiben und sagen und schreiben und sagen - ohne mich im Kreis zu drehen."
Dem Hass die Liebe entgegenzusetzen, dazu fordert am Ende auch ganz physisch Antonia Josefa das Publikum auf. “Schreit das Wort Liebe heraus, wenn ich den Arm hebe”, sagt sie und entscheidet mit ihrem Text an einen fiktiven Rechtspopulisten im Finale am Ende den Wettbewerb für sich – mit einem Engagament vorgetragen, das einen in manchen Passagen eine Gänsehaut macht:
"Ich will das Gegenteil von Hass. Und das Gegenteil von Hass ist der Versuch, zu verstehen. Das Gegenteil von Hass heißt, sich anzusehen – das sind die Ohren, die zuhören, trotz alledem. Statt sich weiter zu verhärten in der gleichen Stagnation, ja das Gegenteil von Hass, das ist Kommunikation."
Beitrag für NDR Kultur
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