Die Innenstadt kann man auch für anderes als fürs Einkaufen und Autofahren nutzen. Dieser Meinung ist der grüne Bürgermeister Hannovers, Belit Onay. Auf dem Areal zwischen Staatsoper, Künstlerhaus und Schauspielhaus wird daher das Kulturdreieck etabliert. Das zweiwöchige Festival Kulturdreieck Festwochen bringt bis zum 7. September Kunst, Tanz und Musik in den öffentlichen Raum.
Eine Performance auf der Straße vor dem Kunstverein Hannover eröffnete das Festival. Die Künstlerin Lena Marie Emrich, ganz in schwarz gekleidet, streift mit einer weiteren jungen Frau um eine Sitzgelegenheit in Schlangenlinienform mit vier Plätzen. Dann lässt sie sich mit ihr nieder, flüstert ihr etwas ins Ohr. Ungewöhnlich nah kommen sich die beiden dabei. Das ist durch die Form der Sitzgelegenheit gewollt. „Gossip Chairs“ heißen die mit dem Preis des Kunstvereins Hannover ausgezeichneten Möbel. Ein Ort der Begegnung, für Klatsch und Tratsch, sagt sie:
"Und zwar geht es bei mir darum, dass Gossip immer negativ konnotiert ist. In der Presse zum Beispiel, in der Celebrity Press, ist es meistens so, okay, wer hat was Böses gemacht, wer ist auffällig gewesen. Aber gleichzeitig ist es so, dass früher Gossip wirklich ein Ort des Austausches war und auch ein Raum war, persönlich tiefer zu gehen. Und das Projekt ist darauf angelegt, dass man das wieder wertschätzt und Gossip wieder neu lesen kann."
Sich begegnen, austauschen, auf einem öffentlichen Platz gemeinsam feiern. Agora nannten die alten Griechen dieses Konzept. Mit ihm trat Hannover bereits in seiner Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025 an. Jetzt soll damit die Innenstadt belebt werden, in der etliche große Immobilien des Handels leer stehen. Für die Intendantin des Schauspiels Hannover, Sonja Anders, ist es die Rückeroberung des öffentlichen Raums. Hannovers Kulturdezernentin Eva Bender denkt in eine andere Richtung:
"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Rückeroberung das richtige Wort ist. Ich glaube, er muss nutzbarer gemacht werden. Und man muss genau gucken, was brauchen Menschen eigentlich heute im öffentlichen Raum und was brauchen wir als Gesellschaft? Und wir brauchen als Gesellschaft Verbindung. Wir brauchen neue Kooperation, um uns für die Zukunft gut aufzustellen. Und dafür ist der öffentliche Raum wesentlich. Weil: Wir begegnen uns im öffentlichen Raum."
In einem Hotel ist eine Performance der freien Tanzszene geplant. In Schaufenstern eines Kaufhauses stellt das Kollektiv Kunstufer Hannover aus. Zum Beispiel das Bild „Brother Nature“, ein großformatiges Ölgemälde von Lisa Elias, das einen weißhäutigen Mann mit brennenden Haaren in der Natur zeigt. Gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit mit kulturellen Mitteln zu spiegeln und dies allen zugänglich zu machen, ist für Melanie Botzki, Kulturmanagerin der Stadt Hannover, nicht zuletzt eine Frage der Demokratie:
"Es muss mehr Räume geben, in denen man niederschwellig zusammenkommt, wo man nicht erst eine Tür oder ein riesengroßes Gebäude mit dicken Mauern überwinden muss. Wir müssen Orte schaffen, in denen wir auch es schaffen können, diesen ganzen gesellschaftlichen Herausforderungen und den Krisen, anders zu begegnen. Also einen Ort der Demokratie stärkt, wo auch mal andere Gruppen zusammenkommen können."
Auf dem großen Platz vor dem Opernhaus scheint das Konzept erste Früchte zu tragen. Auf Bänken an mobilen Bäumen, die die Initiative „Wanderbaumallee Hannover“ aufgestellt hat, sitzen drei junge Frauen und essen Eis. Ihr Blick fällt dabei auf Brillen in Draht, ein Kunstwerk, das wie ein Schwalbennest an einer Ecke eines Ausstellung-Anhängers wächst. Eine Chance, sich einzulassen, mal die eigene Special-Intrest-Bubble zu verlassen? Christoph Platz-Gallus, Direktor des Kunstvereins Hannover:
"Ein wichtiger Punkt ist, dass wir in so einer starken Babbel der Individualisierung leben und im Grunde uns nur von Blase zu Blase bewegen. Und es ist - gerade bei solchen Veranstaltungen, wo dann auch sozusagen Laufpublikum präsent ist, dass die Leute einfach in irgendetwas reinlaufen, sich treiben lassen in der Stadt - ganz wichtig für die Kultur."
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