Außenfassade der Elbphilharmonie in Hamburg
24.08.2020

Jon Rafman und die Kriterien der Kunstauswahl in Zeiten von MeeToo

Welche Eigenschaften eines Künstlers und seines Kunstwerks werden bei dessen Auswahl für eine Ausstellung besonders unter die Lupe genommen und hat sich dies aufgrund von gesellschaftspolitischen Debatten wie „Metoo“ verändert?

Diese Frage stellt sich in Hannover, seit die geplante Ausstellung von Jon Rafman im Kunstverein Ende Juli verschoben wurde, weil Frauen dem kanadischen Künstler auf Instagram Machtmissbrauch und emotionalen Missbrauch vorgeworfen haben. Hat das Auswirkungen auf die Arbeit von KuratorInnen? 

Kathleen Rahn erlebte nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Jon Rafman ein großes Medienecho. Die Direktorin des Kunstvereins Hannover entschied gemeinsam mit dem Künstler, die Ausstellung zu verschieben. In Zeiten viraler Verbreitung von Nachrichten durch die sozialen Medien habe sie sich erst einmal in Ruhe mit der Stichhaltigkeit der Vorwürfe auseinanderzusetzen wollen, sagt Kathleen Rahn: "Es zeigt natürlich, dass da ein großer Diskursbedarf ist, über diese Frage, was jetzt in Amerika schon wesentlich verbreiteter ist, mit diesen ganzen Schlagwörtern wie sie denn da heißen „Cancel Culture“, „Victim blaming“ und all diese Dinge, die da so mit im Raum schweben, die ich überhaupt nicht mir anmaße, zu definieren."

„Cancel Culture“ meint im angelsächsischen Raum unter anderem das Boykottieren einer Person, der beleidigende Aussagen vorgeworfen werden. Doch wann darf ein solcher Vorwurf zur Absage einer Ausstellung führen? Für Reinhard Spieler, der als Direktor des Sprengel Museums in Hannover ein Kunstmuseum leitet, das zum größten Teil aus staatlichen Mittel finanziert wird, gibt das Gesetz hier einen deutlichen Rahmen vor: "Wenn Gesetzesübertretung stattgefunden hat, dann müsste es auch eine Anzeige geben. Und dann sieht die Sache anders aus. Aber wenn, wie im Fall Rafman, jetzt doch klar von den betroffenen Frauen geäußert wurde, dass das konsensual war, also einvernehmlich war, und ich da keinerlei Abhängigkeiten erkennen konnte, dann finde ich, ist es im privaten Bereich."

Welche Rolle sollte also das Privatleben eines Künstlers bei der Beurteilung seines Werkes spielen? Denn nicht zuletzt sind es immer wieder auch exzessive Erfahrungen im Privaten, die Künstlerinnen und Künstler zu herausragenden Werken anregen.

Für Lea Altner, die für den Kunstverein Kestner Gesellschaft in Hannover als Kuratorin arbeitet, zeigt sich in Fällen wie der vertagten Ausstellung von Jon Rafman auch ein strukturelles Dilemma: "Nämlich, dass es auf der einen Seite Frauen gibt, die die sozialen Medien nutzen, um sich in einer nach wie vor männerdominierten Kunstwelt eine Stimme zu verschaffen, und dass auf der anderen Seite ein Künstler steht, der zwar eine große Öffentlichkeit hat, der aber, ob nun schuldig oder nicht, überhaupt nicht angemessen reagieren kann, weil sich diese Vorwürfe einfach in einer rasenden Geschwindigkeit völlig verselbstständigt haben."

Daher sei es wichtig, die Strukturen aufzuzeigen, die unter dieser Art von Dynamik liegen, sagt Lea Altner. Mit Kunst-Ausstellungen, die das Geschlechterverhältnis thematisieren etwa und mit einem Debattierclub für das junge Publikum. Den hat die Kestner Gesellschaft jüngst ins Leben gerufen, um Jugendlichen die Lust am Austauschen von Meinungen zu vermitteln. Kathleen Rahn vom Kunstverein Hannover denkt zur Debatte um Jon Rafman in eine ähnliche Richtung: "Es wäre auch jetzt toll, zu sagen, wir machen in einem Monat eine Podiumsdiskussion dazu. Das, was wir mit unserem Kunstsalon hier im Kunstverein seit vielen Jahren eben praktizieren, dass wir Diskurse machen, mit teilweise bis zu 200 Gästen, je nachdem, was das Thema ist, und das können wir jetzt alles nicht machen. Außerdem brauchen wir auch ein bisschen Zeit das zu reflektieren, zu analysieren und sich auch mit den Diskursen mal wirklich zu beschäftigen."

Denn von der künstlerischen Position Jon Rafmans ist Kathleen Rahn weiterhin überzeugt, ihre Art zu kuratieren werde sie nicht verändern. Und auch Reinhard Spieler hält es für wichtig, sich als Vertreter einer Kunstinstitution vor seine Künstlerinnen und Künstler zu stellen – so lange aus Vorwürfen keine stichhaltigen Anklagen im juristischen Sinne werden. Zu hoffen bleibt also, dass sich der Raum bald wieder öffnet, diese Fragen auch öffentlich und mit den Beteiligten persönlich zu diskutieren.


DLF Kultur, Kompressor


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Welche Eigenschaften eines Künstlers und seines Kunstwerks werden bei dessen Auswahl für eine Ausstellung besonders unter die Lupe genommen?
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
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Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

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