Außenfassade der Elbphilharmonie in Hamburg
16.11.2020

Herausragende Leseförderung mit digitalen Mitteln

Wie kann man Kinder, die sich mit dem Lesen schwertun, für Literatur begeistern? Indem man sie Bücher hören lässt und den Austausch darüber mit anderen Kindern per Audiodatei organisiert!

Hörpost heißt das an der Heinrich-Kielhorn-Schule in Hameln. Ein Konzept, für das die Förderschule jüngst mit dem Deutschen Lesepreis 2020 der Stiftung Lesen in der Kategorie „Herausragende Leseförderung mit digitalen Medien“ ausgezeichnet wurde. 

Hallo, wir sind die Klasse 4b. Wir waren gestern in der Bücherei. Wir haben uns für Paddington entschieden. Könnt Ihr uns das vorlesen?

So lautete die klare Aufforderung der Schülerinnen und Schüler aus Hameln. Ihren Wunsch nach Vorlesen haben die Kinder in ein Mobiltelefon gesprochen und die Aufnahme nach Bad Münder geschickt. An der Grundschule dort gibt es seit drei Jahren eine Schulradio-AG. Die hat sich das Buch Paddington Bär vorgenommen, das erste Kapitel eingelesen und zurückgeschickt. Der 11-Jährige Justin aus der Förderschulklasse hat die Datei schließlich gehört und eine ganz neue Erfahrung gemacht: "Wir haben da die Nachrichten von Bad Münder angehört, von Paddington. Und dann Fragen haben wir gestellt. Und dann saß der auch auf dem Tisch und das haben wir dann auch nachgemacht. Und wir waren dann auch bei den Bad Mündern in der Schule."

Eine Geschichte anhören, von Gleichaltrigen eingelesen, sie mit einem Teddy-Bären nachspielen, Fragen stellen und sich am Ende mit anderen Schülern darüber austauschen - in der Sonderpädagogik geht es darum, Texte ganzheitlich zu erarbeiten. Ein Bär, der Fragen stellt, kann da das Verständnis auf einer weiteren Ebene anregen.

Wart Ihr auch schon einmal auf einem Bahnhof? Was kann man denn da erleben?

Paddington Bär wendet sich in einer Ausgabe der Hörpost direkt an die Schüler aus Hameln. Was ist ein blinder Passagier und was würdest du machen, wenn deine Eltern einen Bären mit nach Hause bringen würden? Das regt die Förderschulkinder an, Begriffe zu analysieren, das Heimatland des Bären auf der Landkarte zu suchen und sich in eine Figur der Geschichte hinein zu versetzen. Die Motivation, zu lesen habe durch das Projekt deutlich zugenommen, sagt Förderschullehrerin Sinya Hoppe: "Das habe ich im letzten Schuljahr gemerkt, dass meine Schüler sehr wenig Berührungspunkte mit Büchern haben und auch von sich aus eher wenig Interesse daran haben, sich mit Büchern wirklich nähergehend zu beschäftigen. Und durch dieses Hörpostprojekt haben wir hier noch eine Bücherkiste installiert und die wird seitdem viel, viel häufiger genutzt und angeschaut."

Und das Projekt hat auch eine soziale Ebene, weil sich Grund- und Förderschulkinder austauschen.

Hallo Schulradio-AG. Danke, dass ihr Paddington für uns lest. Ihr habt uns erzählt, was ihr mögt. Jetzt erzählen wir, was wir gerne mögen..

Mit jeder Hörpost gingen Fragen und Antworten hin und her. Die Schul-Radio-AG dachte sich ein Rätsel mit Geräuschen aus und lernte, wie sie kreativ auf die Bedürfnisse der Kinder aus Hameln eingehen kann. Die Förderschulkinder verbesserten ihre Medienkompetenz, indem sie übten, Aussagen zu formulieren und aufzunehmen. Und sie fassten den Mut, fremden Kindern von den eigenen Interessen zu erzählen. Für die Persönlichkeitsentwicklung ein wichtiger Schritt, sagt der Rektor der Heinrich-Kielhorn-Schule in Hameln, Norbert Lichtenberg: "Es hat etwas mit Teilhabe zu tun und die Schülerinnen und Schüler der beteiligten Grundschule, ich glaube, die konnten sehr eindringlich erleben, dass es normal ist, verschieden zu sein und dass auch unsere Schülerinnen und Schüler Kompetenzen haben, und dass so gemeinsame Projekte einfach Spaß machen."

Und das zeigte sich nicht zuletzt bei einem persönlichen Treffen am Ende des Projektes in Bad Münder. Die Kinder spielten auf Augenhöhe miteinander und produzierten gemeinsam ein Hörspiel.

Sinya Hoppe: „Kinder, jetzt los, hinein in den Bus.“ [Getrappel] Schüler mit verteilten Rollen: „Klick, klick, klick, klick..“

Von dem Preisgeld, das die Kinder der Förderschulklasse für ihr Hörpost-Projekt von der Stiftung Lesen bekommen haben, wollen sie sich nun ein Tablet und ein Mikrofon kaufen. Und obwohl das Hören von Paddington Bär schon ein paar Monate zurück liegt – positive Auswirkungen gibt es bis heute. Nicht zuletzt durch die Aufmerksamkeit in den Medien durch die Preisverleihung, sagt Sinya Hoppe: "Wir sind immer noch im Austausch mit der Grundschule Bad Münder, wir schicken uns immer noch Nachrichten. Und das ist ein total riesiges Erlebnis, dass unsere Kinder ins Fernsehen gekommen sind und dass sie ihr eigenes Foto in der Zeitung entdecken konnten. Also da haben sich ganz, ganz viele schöne Erlebnisse hinten noch drangehängt."


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Das Projekt Hörpost an der Heinrich-Kielhorn-Schule Hameln
Bild von Med Ahabchane auf Pixabay
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Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

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