Kunstfestspiele Herrenhausen 2018
14.12.2020

Der Streit um das „Reformationsfenster“ der Marktkirche Hannover

Kann das Wahrzeichen Hannovers - die mächtige Marktkirche in der Altstadt - ein von Altkanzler Gerhard Schröder gestiftetes und vom Künstler Markus Lüpertz entworfenes Kirchenfenster einbauen? Darüber wird derzeit gestritten. 

 

Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann führt durch den luftigen Kirchenraum der Marktkirche. Der Backsteinbau im Stil der Spätgotik ist eine dreischiffige Hallenkirche. Unverstellt von Emporen an den Seiten kann der Blick schweifen – und trifft an beiden Längsseiten auf fünf helle, hoch aufragende Fenster, die bisher nicht gestaltet sind. In der Mitte auf der rechten Seite ist Platz für das 13 Meter hohe Reformationsfenster von Markus Lüpertz, sagt Hanna Kreisel-Liebermann: "Es wäre dieses Fenster, also das mittlere große Fenster. Und auf dem Fenster daneben sind im Moment Fenster herausgenommen, die zum Farbabgleich bei der Firma Derix sind. Damit die immer vor Augen haben, wie ist die Farbe."

Hanna Kreisel-Liebermann holt ihr Handy heraus und ruft Bilder von einem Besuch in den Ateliers der Firma Derix Glasstudios in Hessen auf. Dort wird das Kirchenfenster für Hannover derzeit gefertigt. Flächen mit bunter Ornamentik im oberen Drittel münden da in der Mitte in einen dunkleren Teil mit Skelett auf schwarzem Grund, darunter steht ein Mann in weißem Hemd. Was im Entwurf auf Pappe noch recht düster anmutet, stelle sich im realen Kunstwerk ganz anders dar, sagt sie. "In der Werkstatt, als wir da einen Besuch gemacht haben, sieht man einfach, wie wunderschön das ist, wenn das Licht da durchscheint und es ist auch sehr, sehr hell. Also der ganze untere Bereich: Man sieht eben diese Figur in dem weißen Kleid - das sind ja immerhin fast drei Bereiche – ist sehr, sehr, sehr hell. Und das war der Wunsch der Denkmalpflege, dass die Lichtverhältnisse möglichst wenig extrem verändert werden."

Denn der Architekt Dieter Oesterlen, der für die Neugestaltung der Marktkirche nach dem Krieg verantwortlich zeichnete, habe die Fenster bewusst farblos gelassen. Das sagt sein Stiefsohn Georg Bissen, der vor Gericht auf das Urheberrecht pocht und dafür streitet, dass das so bleibt. Denn wer die Kirche betrete, brauche „einen Schutzraum, um zu innerer Ruhe, zu sich selbst und zu Gott zu finden“, schreibt der Anwalt in einer Email aus Tokyo: "Das Fenster von Herrn Lüpertz ist ein einzelnes Fenster, das in keiner Weise mit dem Gesamtkonzept Dieter Oesterlens korrespondiert. Herr Lüpertz selbst hat ausgeführt, es gehe ihm darum, die Atmosphäre zu verändern. Daher ist es mir wichtig, den Einbau zu verhindern: nicht wegen der formalen Position des Urheberrechts, sondern weil ich der festen Überzeugung bin, dass das Wesentliche der Marktkirche, den Gläubigen einen Ort der Besinnung zu gewähren, gefährdet wird, wenn durch plakative, gegenständliche Bilder eine dramatische Ablenkung erfolgt."

Auch der Altar aus dem 15. Jahrhundert zeige Dramatik in Form von Folter und Kreuzigung, hält Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann dem entgegen. Markus Lüpertz gehe es jedoch nicht um Provokation. Auch, wenn ihm diese zunächst vorgeworfen wurde, weil fünf dicke, auffällige Fliegen das Fenster bevölkern. In einer Informationsveranstaltung erklärte der Künstler, er habe eine Atmosphäre zum Reformator Martin Luther erschaffen wollen, vermittelt über eine Legende: "Sie kennen alle die Legende, wie er die Bibel übersetzt und Satan stört ihn in Form einer Fliege, und er nimmt ein Tintenfass und schmeißt es nach der Fliege und weiß, das ist Beelzebub. Beelzebub ist der König der Fliegen im Mittelalter und Luther habe ich so interpretiert und so verstanden, dass er mit der damaligen, existierenden katholischen Kirche nicht zufrieden war und sich damit auseinander gesetzt hat. Darüber hinaus war er ein Aufklärer, er hat die Bibel übersetzt. Und er hat somit eine ganz bestimmte kämpferische, aber auch legendäre Figur geboren mit sich selbst."

Das Reformationsjubiläum vor drei Jahren war ein guter Anlass, sich an Martin Luther zu erinnern, sagt Hanna Kreisel-Liebermann. Das neue Kirchenfenster könne die Beschäftigung mit dem Geistlichen wach halten, der wegen seines Antisemitismus in der Kritik steht. Ob es so kommen darf und das Selbstbestimmungsrecht der Kirche höher zu werten ist als das Urheberrecht des Architekten Dieter Oesterlen, entscheidet heute das Landgericht Hannover. Für die Pastorin der Marktkirche wäre der Einbau des Lüpertz-Fensters jedenfalls eine Bereicherung, sagt sie: "Kunst im kirchlichen Raum ist immer ein Dialog. Und häufig greifen Künstler, Künstlerinnen Fragen auf, die in der Religion auch da sind. Die natürlich von einer anderen Richtung her kommen und das ist auch bei diesem Fenster so. Und das erreicht einfach nochmal ganz andere Bereiche, Sinne und im modernen Kontext irritierts oder erfreuts die Sehgewohnheiten."


WDR5, Scala


Zurück

Von Gerhard Schröder geschenkt, von Markus Lüpertz entworfen
Bild von WorldInMyEyes auf Pixabay
Beitrag anhören:

Neuere Themen:

Noch bis 11. April: Hilma af Klint, Moderna Museet Malmö..
..aus dem Archiv Hilma af Klint - Bericht zur Ausstellung 2013 in Stockholm, Moderna Museet

Marco Goeckes erste Uraufführung an der Staatsoper Hannover
"Der Liebhaber" nach Marguerite Duras in Vorbereitung

Ältere Themen:

Mit Abstand nah an der Kunst
Neue Ausstellungen in den Galerien Falkenberg und Robert Drees in Hannover

Podcast Lebenserinnerungen der Bergen-Belsen-Überlebenden Irene Butter
FAQ-Room Spezial im Hörspielhaus von Agnes Bührig, Barbara Heine und Gala Othero Winter

Über mich

Agnes Bührig, freie Autorin mit Berichtsgebiet Niedersachsen und Nordeuropa. Berichte, Reportagen und Features über Kultur und Gesellschaft, Podcast und Moderation..

Mehr >>

Bild von falco auf Pixabay